29.04.2025
Nicht richtig lesen und schreiben können – für viele Menschen ist das unvorstellbar. Doch für 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland ist das Lesen eines Briefes oder das Schreiben einer E-Mail auf Arbeit eine enorme Herausforderung. Um diesen Menschen zu helfen, hat das ALFA-Mobil am 28. April Halt in Wittenberge gemacht.
Heißt es „Mayonnaise“ oder „Majonäse“? Und ist es aus dem „Stehgreif“ oder „Stegreif“? Die deutsche Sprache ist nicht immer einfach. Irgendwann kommen die meisten Menschen beim Lesen und Schreiben an ihre Grenzen. Dass jedoch über 6 Millionen Erwachsene in Deutschland so große Schwierigkeiten haben, dass sie keine Texte lesen und schreiben können, wissen die wenigsten.
Genau deswegen tourt das ALFA-Mobil des BVAG (Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V.) durch Deutschland. Am 28. April hat es auch in Wittenberge Halt gemacht. Susann Günther und ihr Kollege Adrian Eppel, Mitarbeiter des BVAG, haben zusammen mit den Kolleginnen des Landkreises Prignitz – Jana Voigt-Labude von der Kreisvolkshochschule sowie Lisa Marie Petri und Eileen Jerichow vom Grundbildungszentrum – im Edeka center Elbtalaue für das Thema Alphabetisierung und Analphabetismus sensibilisiert.
Lesen und schreiben zu können, öffnet Türen
Für Betroffene ist dieses Thema mit Scham behaftet. Das weiß auch Harald Gaul. Er ist selbst ein Betroffener gewesen. Diesen Schritt zu gehen und sich Hilfe zu suchen, ist nicht einfach, wie er sagt. „Man fühlt sich wie ein Mensch zweiter Klasse. Es gibt Menschen, die einen hänseln und sagen, dass man doch längst hätte Lesen und Schreiben lernen können. Aber so leicht ist das nicht. Bei mir wurde es zum Beispiel in der Schule vernachlässigt, mir das Lesen und Schreiben richtig beizubringen. Ich war dafür gut im Rechnen oder Erdkunde – in anderen Fächern eben“, erzählt der Berliner.
Nachdem er seinen Abschluss nach der 9. Klasse hatte, sollte er zur Berufschule gehen. Doch da er nicht schreiben konnte, ging das nicht. Es folgte eine Maßnahme nach der anderen. Irgendwann wollte er dieses Leben so nicht mehr führen und suchte sich Hilfe.
Harald Gaul weiß, wie schwer dieser Weg ist. Deswegen hat er sich dazu entschieden, anderen Betroffenen zu helfen. Er ist einer von circa 40 Lernbotschaftern deutschlandweit, die die Kolleginnen und Kollegen vom ALFA-Mobil auf ihren Touren begleiten. „Man darf nicht wütend sein. Man muss Mut haben. Lesen und Schreiben öffnet auch Türen und hilft einem, selbst einfach mal einen Brief zu schreiben, Bücher zu lesen. Also mich hat es in meinem Leben bereichert“, gibt der Lernbotschafter mit auf den Weg.
Lese- und Schreibschwäche hat nichts mit Intelligenz zu tun
Dass Menschen nicht richtig lesen und schreiben können, hat dabei nichts mit der Intelligenz zu tun. „Es kann viele Ursachen geben, wie jemand nicht richtig das Lesen und Schreiben gelernt hat“, erklärt Susann Günther vom BVAG. Oft seien aber Probleme in der Kind- und Schulzeit der Auslöser. So kann es sein, dass der Betroffene beispielsweise gemobbt wurde und deswegen den Anschluss in der Schule verloren hat.
„Um sich dann das weitere Wissen aneignen zu können, muss man ja lesen und schreiben können. Das baut auf einander auf. Wenn man einmal den Anschluss verloren hat, ist es schwer, diesen wiederzufinden.“ Auch berichten viele Betroffene, dass bereits die eigenen Eltern Probleme beim Lesen und Schreiben hatten, ihren Kindern damit auch nicht bei Schulaufgaben helfen konnten. „Dann wird dieses Problem praktisch an die nächste Generation weitergegeben“, so Günther.
Mit vielfältigen Aktionen versuchten Harald Gaul, Adrian Eppel, Susann Günther und die Kolleginnen vom Landkreis Prignitz Aufmerksamkeit zu erregen und die Besucherinnen und Besucher an den Stand zu locken – mit Erfolg. „Wir konnten eben schon mit einer Dame sprechen, die meinte, sie würde jemanden kennen, den das Thema betrifft. Sie hat unser Info-Material mitgenommen“, freut sich Lisa Marie Petri. Und das, obwohl der Stand erst seit ein paar Minuten aufgebaut war. Doch immer wieder sorgen die kleinen Spiele, das Glücksrad und die auf den Boden geklebten Sprüche für neugierige Blicke.
Es geht darum, die Hilfsangebote in die breite Öffentlichkeit zu tragen
Genau das ist auch das Ziel, wie Susann Günther erklärt. Es geht bei der Aktion nicht unbedingt darum, direkt die Betroffenen anzusprechen, sondern „dass die Informationen um die lokalen Hilfsangebote in die breite Öffentlichkeit getragen werden. Die meisten Betroffenen haben eine Vertrauensperson, die bei schriftlichen Angelegenheiten hilft. Wenn wir diese erreichen und diese es dann weiterträgt, haben wir schon viel erreicht. Es erfordert viel Mut, als Betroffener selber an den Stand zu kommen. Manche machen das, aber das ist eher selten“, schätzt die Mitarbeiterin des BVAGs ein.
Träger des Projektes ist der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V. Der Verein bedient das aus TV-Werbespots bekannte ALFA-Telefon (0800 – 53334455) und pflegt eine bundesweite Kursdatenbank. Darüber hinaus fördert er in zahlreichen weiteren Projekten das Lesen und Schreiben. Die Vereinsarbeit wird durch Mitgliedsbeiträge, Spenden sowie Verkaufserlöse finanziert. Ernst Klett Sprachen sowie zahlreiche weitere Kooperationspartner unterstützen den Verband.
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